1. Zur Hauptnavigation springen
  2. Zum Hauptinhalt springen

Warum reden wir von Systemsprengern? #01

Der Begriff 'Systemsprenger' wird in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und auch in den Medien gemeinhin für Kinder und Jugendliche verwendet, denen mit den vorhandenen Hilfsangeboten von Ämtern, Jugendhilfen, Psychiatrien und Schulen scheinbar nicht mehr geholfen werden kann. In einer dreiteiligen Artikelreihe setzen wir uns kritisch mit diesem Begriff auseinander. 

#01 Systemsprenger: ein passender Begriff für ein komplexes System?

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt Systemsprenger. Sagt sie.

Da stellen sich einige Fragen:

  1. Was ist das System?
  2. Wie wird es gesprengt?

Was beim Begriff Systemsprenger auffällt:

Der Begriff ist bereits aggressiv. Da sprengt jemand etwas: Wer ist das? Ein Terrorist? Und was sprengt er? Das System? Was soll das sein?

Vorsicht bei der Begriffswahl:

Wer den Begriff Systemsprenger unachtsam benutzt, begeht im geringsten Falle einen Fehler. Im schlimmeren Fall agitiert er. Gegen Kinder und Jugendliche.

Was zählt: Der achtsame Umgang mit einer hochexplosiven Terminologie. Denn: Die fahrlässige Nutzung dieser Terminologie verstellt die Wege zu den Ursachen des Problems.

Den Menschen hinter dem Begriff erkennen:

Die Ursachen erkennen und dann Wege raus aus der individuellen Krise entwickeln und gehen. Es geht nicht um Systeme, Ideologien und wissenschaftliche Theorien. Es geht um Menschen. Und wie immer, wenn es um Menschen geht, geht es um Verletzlichkeiten, Wut, Aggressionen und Sehnsucht, Trauer und Hoffnung, es geht um Kreativität und Lebensperspektiven. Es geht nicht um Idealisierung und Kuschelecken. Es geht darum, dass Menschen Menschen helfen. Und das kann funktionieren, wie einige konkrete Geschichten belegen. Geschichten von Menschen.

Kevin ist 16 Jahre alt, mit Beschluss nach § 1631 BGB in die Klinik eingewiesen.

Auf Antrag des Vormundes.

Er wird mit dem Ordnungsamt vorgefahren, blau weißes Fahrzeug, Kennzeichen aus der Heimatstadt, zwei gewichtige Herren in Uniform und eine zart gebaute Dame, wie später zu erfahren vom Jugendamt und die Vertreterin des Sachbearbeiters von Kevin.

Was ist das Problem?

Kevin ist stinkesauer und sehr unzufrieden!

Kevins Geschichte ist die Geschichte von einem, der sein Leben in die eigenen Hände nehmen kann. Mit 14 Jahren ging zu seinem Sachbearbeiter seines Jugendamtes, um sich in Obhut nehmen zu lassen.

Er halte es zu Hause nicht mehr aus, werde von seinem Stiefvater ständig geschlagen, seine Mutter sei häufig betrunken, und seinen mittlerweile 18-jähriger Bruder könne er nicht mehr riechen. Der ist zu ihm ins Bett gekrochen und habe sich an ihm zu schaffen gemacht. Kevin ist sich seiner Verletzlichkeit bewusst und er handelt. Als 14Jähriger! Kevin ist nun 16 Jahre alt und seit 2 Jahren unter Vormundschaft. Das bewahrt ihn vor dem Schlimmsten. Es verschafft ihm aber keine Perspektive, keinen Weg heraus aus seiner Situation.

Das Amt habe versucht, zwischen Kevin und der Familie zu vermitteln. Das sei gründlich misslungen. Der Stiefvater habe bestätigt, dass er hin und wieder den Jungen schlage. Das passiere beispielsweise, wenn er wieder mal von der Polizei nach Hause gebracht werde.

Was hat Kevin gemacht?

Er hat seine veritablen kognitiven Fähigkeiten zum Einsatz gebracht. Er hat Vor- und Nachteile der ihm zur Verfügung stehenden Optionen sorgfältig abgewogen.

Vorteile:

  • Er hat erst mal keine Polizei an den Hacken
  • Es gibt regelmäßig was zu essen und zu trinken
  • Er hat ein Dach über dem Kopf

Nachteile:

  • Er gibt Kontrolle auf
  • Er gibt Freiheitsräume auf
  • Er kennt niemanden

Wer kann Kevin im nächsten Schritt helfen, verhandlungsfähig zu werden? Wer kann ihm helfen, herauszufinden, welche Lebenswege ihm offenstehen und was er machen muss, diese Chancen zu nutzen?

Kevin der Systemsprenger?

 

Den zweiten und dritten Teil der Artikelreihe zum Thema 'Systemsprenger finden Sie hier: